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Kunst & Kultur / Unterwegs

nachtwandel 2015.

grüppchenweise schieben sie sich langsam durch die straßen, die menschen, die jedes jahr im oktober in unseren kiez strömen. abgesehen von denen, die sowieso hier wohnen, kommen einige, um sich ausstellungen und performances anzuschauen oder bulgarisches lamm, italienische salsiccia und vegane snacks zu essen. viele kommen nur, um bier zu trinken und zu feiern. das kann man gut hier bei uns im jungbusch. nachdem ich die letzten zwei nachtwandel wegen klausurtagungen in der pfalz immer nur zur hälfte mitbekam, war ich nun die vollen zwei tage vor ort.

ausgestattet mit einem mikrofon und begleitet von meiner kollegin und kamerafrau alex war ich freitags  für den internationalen mädchentreff unterwegs. um das thema respekt geht es uns hier in letzter zeit, weshalb alex und ich uns für drei stunden unter die nachtwandler begaben, um stimmen, gesichter, meinungen und geschichten einzufangen: frauen anfang zwanzig erzählten uns, was sie am gemeinsamen miteinander schätzen, zwei kumpels machten sich komplimente, ein älteres ehepaar verriet uns das geheimnis ihrer langen beziehung. (den fertig geschnittenen teaser bekommt ihr irgendwann nachgereicht.) im grunde genommen, und abgesehen von den sehr wenigen respektlosen begegnungen, war das ein durchaus gelungener streifzug. shoutout an den netten herren, der den ganzen abend marlboro-rauchend aus seinem fenster an der ecke hafen- und werftstraße lehnte und wartete, bis wir ein zweites mal vorbeikamen. er wollte so gerne gefilmt und interviewt werden, sprach aber leider nur russisch und ein paar andere slawische sprachen, die keine von uns beherrschte. vielleicht finden wir beim nächsten treffen einen kompetenten übersetzer.

für alle anlaufspunkte, die ich am zweiten abend ansteuern wollte, hat am ende natürlich wieder die zeit gefehlt. stattdessen stand ich in hauptsächlich in irgendwelchen hinterhöfen und habe alte und neue freunde getroffen. auch gut. hier ein paar meiner highlights:

„jungbuschs eigene east side gallery“, meint laura, als wir über die teufelsbrücke auf das betriebsgelände der tbs-transportbeton im hafen laufen, fast sprachlos aufgrund dessen, was wir da sehen. auf der 900 qm großen wand am verbindungskanal, die ehemals ein unscheinbares dasein im schatten der großen blaugrauroten silos fristete, hat benjamin burkard in den letzten monaten das größte fassadengemälde mannheims entstehen lassen. schon von weitem macht es auf sich aufmerksam: von leistungsstarken strahlern beleuchtet spiegelt es sich mit den silhouetten der besucher im schwarzen kanalwasser, laute elektronische musik wummert nebenher. „ökosystem“ lautet der titel des murals; es handelt von wachstum, vernetzungen, verbindungen. ein schönes und spannendes thema, besonders in bezug auf mannheim und den jungbusch. wer mag, kann sich auf der facebook-seite von benjamin ein zeitraffer-video zur entstehung anschauen. sehr eindrucksvoll.

zwei moscheen befinden sich in meinem stadtviertel. genau wie die christlichen gebetshäuser öffnen sie jeden nachtwandel türen und tore für die öffentlichkeit. über den eingang zum hinterhof in der böckstraße, von außen kaum wahrnehmbar, führt der weg zur fatih moschee der islamischen gemeinschaft milli görüs. junge frauen und männer stehen bereit und weisen einen in die richtige richtung. wir steigen die treppen hinauf, werden darauf hingewiesen, dass wir nun unsere schuhe ausziehen müssen, sofern wir den gebetsraum betreten wollen. das tun wir natürlich, denn bisher hat noch keine von uns eine moschee von innen gesehen. wir sind neugierig. der gebetsraum ist wahnsinnig schön: auf dem boden roter teppich, an der decke ein großer leuchter, die wände geschmückt mit kunstvoll bemalten kacheln und suren aus dem koran. ein junger mann nimmt uns in empfang, erklärt uns alles, beantwortet fragen, informiert uns über die lokale glaubensgemeinde. wer wie ich vorher noch nie in einer moschee war, dem ist spätestens im nächsten oktober der beste rahmen dafür geboten.

meine nachtwandel-tradition: sich bei papa messina eine hausgemachte salsiccia im panino abholen. dass die italienischen bratwürste auch noch viele andere abnehmer haben, zeigt sich an der fast endlos scheinenden schlange, die sich abends um die ecke beil- und böckstraße windet. direkt gegenüber wird kebap gegrillt, im unteren teil der werftstraße, bei den bulgarischen ständen, dreht sich ein ganzes lamm aufgespießt um die eigene achse, im einem unweit entfernten hinterhof werden allerlei persische köstlichkeiten aufgestischt. eine kulinarische weltreise.

wo wir gerade bei speis und trank sind: bei den männern von antighost war ich zum zweiten jahr in folge sehr gerne zu gast, und das nicht nur wegen der kickass siebdrucke (dieses mal war es mir in der werkstatt leider ein bisschen ungemütlich voll), sondern weil es dort auch immer geilen ebbelwoi (von bembel with care!) und noch geilere cupcakes gibt (von true cupcakes!). noms.

einer der schönsten momente: als ich auf dem nachhauseweg abseits der massen durch die fast menschenleere kirchenstraße laufe, treffe ich auf ionel chiriţa und seine truppe promoroaca. ich weiß nur, dass es schon sehr spät sein muss; wie spät – keine ahnung. mittig stehen sie, mit ihren geigen und dem akkordeon, und spielen rumänische volkslieder aus den karpaten. eine handvoll menschen haben sich genauso neugierig wie ich um sie herum versammelt. über uns scheinen der mond und die gelben straßenlaternen. ein wunderbarer abschluss.