mir ist heute die 1934er ausgabe von mary hahns praktischem kochbuch für die bürgerliche küche in die hände gefallen; meine großmutter hat sie – laut widmung am 25. mai 1944 – von ihrer schwiegermutter (und meiner urgroßmutter) geschenkt bekommen. ein paar schöne rezepte sind darin enthalten, gut bürgerlich, wie der titel schon sagt, und natürlich eine menge (immer noch mehr oder weniger alltagstauglicher) küchentipps und -tricks, um von der durchschnittlichen hausfrau zur hausfrau par excellence zu werden.
besonders gut gefallen mir die vielen abbildungen, die von pilzkunde bis hin zum abziehen von aalen oder der herstellung von blätterteig alles mögliche veranschaulichen. (jaha! damals war da noch nichts mit fertigteig kaufen im supermarkt – we’ve come a long way.) sehr schön auch die vielzahl von saisonalen menüvorschlägen ganz hinten im buch; für april wäre da zum beispiel biersuppe, saure linsen mit rotwurst und eierkuchen mit pflaumenmussauce vorgesehen.
die emanze in mir ist bei der lektüre des vorworts allerdings an ihre grenzen gestoßen. in no particular order wechselten sich da nämlich physische ungläubigkeitszeichen wie kopfschütteln mit psychischen, emotionsbezogenen reaktionen ab; entsetzen, beniedlichung, dankbarkeit ob der tatsache, dass ich nicht 50 jahre eher das licht der welt erblickte, sowie sorge und mitleid mit all denen, die das auch so sahen wie mary hahn, ein großteil der damaligen bevölkerung, weiß man ja, will man aber trotzdem nicht wahr haben. oder? und weil ja hier niemandem etwas vorenthalten soll, vielleicht lernt der/die ein/e oder andere hier noch etwas, folgt jetzt die abschrift des in fraktur geschriebenen vorworts von mary hahn (übrigens auch in sehr ästhetischem deutsch geschrieben in fuck yeah-konjunktiv und mit dativ-e wie es im buche steht. da freut sich das linguistenherz; ewig swag, alda, isso!):
Vorwort
Willst du fesseln deinen Mann
Mit zwei Dingen ist’s getan,
Koch ihm ein schmackhaft Gericht
Und zeig ihm ein freundlich Gesicht.Der Weg zum Herzen des Mannes geht durch den Magen, das ist eine alte, noch nie bestrittene Wahrheit. Liebe allein reicht nicht aus, den glücklichen Fortbestand einer Ehe zu gewährleisten. Eine versalzene Suppe, ein angebrannter Braten sind oft die kleinen Ursachen einer verfehlten Ehe. Die Magenfrage ist nun einmal für das körperliche und geistige Wohlbefinden des Menschen von größter Wichtigkeit. Darum sollte jede Frau sich an Hand eines zuverlässigen Kochbuches eine gewisse Sicherheit im Kochen anzueignen suchen, dann wird ihr das Kochen auch keine Last sein.
Der Mann kommt mittags vom Bureau oder sonstiger Arbeitsstätte nach Hause und will sich am Familientisch neu kräftigen. Er kommt hungrig nach Hause, darum sei das Essen auch stets pünktlich fertig, auch sorge man für stete Abwechslung in den Speisen, das macht die Mahlzeit interessant. Der dankbare Gatte wird lächelnd und gespannt sehen, was seine erfindungsreiche Hausfrau neues bringt, was sie sich wieder ausgedacht und was sie gelernt hat. Das macht die Mahlzeit vergnügt und spornt zu immer neuen Versuchen an. Die junge Frau braucht sich dazu gar nicht täglich das Gehirn zu zermartern mit der langen Frage: „was koche ich morgen?“ sie braucht nur dieses Buch aufzuschlagen und findet am Schluss desselben eine reiche Auswahl der Jahreszeit entsprechender, täglicher Speisezettel. Auch lese sie in ihren Mußestunden oft in ihrem Kochbuche mit mindestens demselben Interesse, als etwa ein Modenjournal, es wird ihr Eheglück festigen helfen, denn jeder Mann schätzt die Kochkenntnisse seiner Frau am höchsten. Und wenn vor einiger Zeit bei einem Berliner Preisausschreiben über das Thema: „Wie der Mann zu fesseln ist,“ die Lösung:„Füttere die Bestie gut!“ den ersten Preis davon trug, so bestätigt das nur das oben gesagte.
Der Tisch sei stets recht einladend mit einem sauberen, weißen Tischtuch bedeckt, die Teller und Gläser sauber und blitzblank. Auch stelle man, wenn möglich, immer eine Vase mit frischen Blumen auf den Tisch, die man vom Spaziergang mit heimgebracht hat – die Männer sind für alles dies sehr empfänglich. Dann noch ein freundliches Gesicht, und nett und sauber angezogen, und der Gatte wird sich vergnügt und gut gelaunt an den Tisch setzen, und das ist schon der Anfang einer guten Verdauung.
Die soziale Frage wird schnell gelöst sein, sobald alle Frauen gut zu kochen verstehen und das Heim behaglich zu machen wisse, so daß der Mann sich zu Hause wohler fühlt als im Wirtshause. Man mag darüber lachen wie man will, ich bin gewiß, daß diese Lösung in der Hand der Frau liegt, in der Hand, die zu kochen versteht.
Mary Hahn.
[Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, lassen sich einige Grundelemente dieser Weltansicht in meinen Eltern, und besonders in ihrem Umgang miteinander, finden. Ich bin trotzdem sehr froh darüber, dass sie mich immer in allen Dingen, die ich ausprobieren/machen/werden wollte, unterstützt hab. auf eigenen füßen stehen – habe ich nahegelegt bekommen. darüber, ob mary hahn ihren eigenen ansprüchen an die gute haus- und ehefrau gerecht werden konnte, kann man nur mutmaßen. hat man denn noch genug zeit zum kochen und haushalten, wenn man bücher schreibt und seinen eigenen kochbuchverlag am laufen hält?aber der lösungsansatz zur sozialen frage ist doch was. hätte halt alle mal das kochbuch da lesen sollen – problem gelöst! ]
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