Inge hatte jeden von Rudolfs Briefen fein säuberlich nummeriert – und im fünften Umschlag erwartet uns eine kleine Überraschung: Darin befand sich nicht nur eine Karte von Rudolf, sondern auch zwei quadratische Notizzettelchen, auf denen Inge wohl den Entwurf eines Gedichts an ihren Liebhaber notiert hatte. Aber lest selbst…
Rodenbach, 7.11.1991
Meine liebe Inge,
Es ist 15.30 Uhr. Soeben komme ich aus dem Garten, wo ich das heute morgen abgeerntete Lauchbeet (für die Berliner: „Porreebeet“) umgegraben habe. Zum Mittagessen gab’s Lauchgemüse, Fleisch und Kartoffeln.
„Schreib mal wieder“ fordert die Post die Schreibfaulen auf, sich daran zu erinnern, daß ein briefliches „Ich liebe Dich“ gern gelesen wird. Aber auch ohne von dieser Aufforderung zum Schreiben veranlaßt zu sein, ist es an der Zeit, daß Du unter den Reklameschriften in Deinem Briefkasten auch ein Schreiben von mir findest. Es soll ebenfalls ein Reklameschreiben sein, jedoch mit Reklame für Dich, denn ich möchte Dir sagen, daß Du lieb und schön und gut bist, und daß ich Dich liebe. Deswegen schicke ich Dir diesen Briefblumenstrauß über die Höhen des Pfälzer Waldes und die Rheinebene hinweg im Fluge bis an den Rand des Odenwaldes hin zu Dir.
Liebe Inge, ich grüße und küsse Dich recht herzlich (auch ZK, jedoch vorher eine Zeitlang zart und sittlich) und wünsche Dir alles Schöne und Gute
Dein Rudolf
Und das reimt Inge:
EINEN FREUND FAND HEUTE ICH.
VIELLEICHT AUCH FAND ER MICH.
OB ES SCHICKSAL WAR?
ODER ZUFALL?
ODER GLÜCK?
ODER VORSEHUNG GAR?
WIE ZWEI PLANETEN IM ALL,
DEREN BAHNEN SICH KREUZEN,
WEIL AM ANFANG DER ZEITEN
DIESES TREFFEN BESTIMMT?
SEI WIE ES MAG,
SICHERLICH KOMMT DER TAG,
DA UNSERE FREUNDSCHAFT UNS BINDET
UND DAS HERZ zum Herzen findet.
ICH LIEBE SEINE RUHIGE ART,
HUMOR UND GEIST UND GÜTE,
DAS EHRLICHE GESICHT,
DEN LIEBEVOLLEN BLICK,
SEIN LÄCHELN, DAS MICH MEINT.
UND IST DER FREUND NICHT LEICHT BESCHRIEBEN,
WIE VOR MIR ICH IHN SEH‘,
SO HOFF ICH UMSO MEHR –
ZÄHL TAGE UND DIE STUNDEN –
DAß ICH IHN WIEDERSEH.
