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Leben

Meine liebe Inge (8)

Inge ist mit meinen Eltern, meiner Oma Trudel und mir für ein paar Wochen in den Urlaub nach Thailand verschwunden, und das grämt Rudolf so sehr, dass er ihr jeden Tag einen kurzen Brief schreiben muss. Die gesammelten Gedanken aus sieben Tagen steckt er in Briefumschlag Nummer acht.


Rodenbach, den 20.2.1992

Meine liebe Inge,

Deinen lieben Brief den Du mir noch vor Deiner Abreise angekündigt hattest, habe ich schon heute erhalten. Vielen Dank für Deine lieben Worte. Sie kommen gerade recht, um meine niedergedrückte Stimmung wegen Deiner Abreise etwas zu mildern. Deine Sorge um meine Gesundheit und die Mitteilung, du würdest mich in dein Abendgebet mit einschließen, berühren mich besonders. Ich weiß ja und erfahre es bei jedem Zusammensein mit Dir, wie sehr Du mich liebst und wie gut Du zu mir bist. Glaube mir, auch ich liebe Dich sehr. Schon gestern hatte ich solche Sehnsucht nach Dir. Es fehlte Dein oder mein Anruf, ich mußte auf Deine lieben Worte und Deine schöne Stimme verzichten.

Ich hätte in Thailand schon angerufen, wenn Du es nicht vergessen hättest, mir die Telefon-Nr. der Mutter der Sue (oder Ou?) anzugeben. Lachst Du jetzt, oder hat die alte Frau tatsächlich Fernsprechanschluß? Ich nehm’s nicht an, denn da fehlt ja das Möbelstück, worauf so ein Apparat zu stehen pflegt. Aber Spaß beiseite – wenn Du nach einigen Tagen in meinem Fernsprecher zu hören wärst – das wäre eine Freude!



21.2.1992

Um den Grund zu entfliehen, der mich gestern wieder piesackte, fuhr ich heute nach Ludwigshafen, um das dortige Stadtmuseum zu besichtigen, von dessen Existenz ich bisher nichts wußte. Davon erfuhr ich in der Zeitung, und auch davon, dass da z.Z. eine Ausstellung mit karikaturähnlichen skurilen Bildern zu sehen sei. Fazit meines Besuches: Die ständige Ausstellung über die Entstehung und Entwicklung der Stadt Ludwigshafen (die nur etwa 180 Jahre alt ist) ist interessant, die Sonderausstellung dagegen die reinste Pornografie. Zwei Beispiele: Eine männliche Plastik in Lebensgröße mit einem echten Elefantenzahn als Penis, und ein sitzender nackter Mann mit einem Kuh-Euter, der von einer Frau gemolken wird. Am Treppenaufgang zum Raum, in dem die Bilder ausgestellt sind, der schriftliche Beweis: „Der Besuch der Ausstellung durch Kinder kann nicht empfohlen werden. Sie könnten Schaden erleiden“.

Eben rief mich meine Schwester aus Weilerbach an und teilte mir mit, meine Schwester Luzia sei wegen eines Tumors in der Blase ins Krankenhaus nach Kaiserslautern gekommen. Luzia ist vor etwa 10 Jahren wegen Krebs im Unterleib und an der Brust operiert worden.


22.2.1992

Liebes Ingelein, Samstag, 14.30 Uhr.

Ich denke an Dich, wie jeden Tag. Ich denke auch an Dich, weil ich Dir gern sagen möchte, daß mein Herz einmal wieder nicht so spurt, wie ich es gern hätte. Könnte ich mit Dir reden – es wäre Kraft für mich, und es ginge mir besser.

Draußen im Hof, da wo Dein Auto stand, sehe ich die Spuren, die mich an die beiden Tage und die eine Nacht erinnern, die Du bei mir in Rodenbach verbracht hast. Dein Bild in meiner Brieftasche habe ich eben einmal wieder betrachtet und es auf die Schauseite herumgelegt. Ich wünsche Dir ein erlebnisreiches Wochenende.



Sonntag, 23.2.1992

Liebe Inge,

(daß Du meine liebe Inge bist, ist doch klar, aber sofort danach, als ich aus Versehen nur „liebe Inge“ geschrieben hatte, habe ich meinen Leichtsinnsfehler festgestellt. Die „liebe Inge“ bist Du ja auch, aber nur für andere, „meine liebe Inge“ darf nur ich sagen. Stimmt’s?) gestern abend war ich, wie immer an den Samstagabenden, bei den Eheleuten Fuchs, um „Wetten daß…“ zu sehen. Heute, am Sonntagmorgen, 10.00 Uhr, bin ich noch immer nicht gewaschen und „frisiert“. Das Schreiben einiger lieber Zeilen an Dich geht vor allem anderen Bist so lieb und gut zu mir, so zuvorkommend und selbstlos. Und ich liebe Dich!

18.30 Uhr.

Brot und Wurst waren eben mein karges Abendmahl. Von 15.30 Uhr bis 18.00 Uhr bin ich bei Morgenthalers gewesen. Es tat mir gut, daß von Die die Rede war. Es wurde nur Gutes gesagt von Dir. Und ich habe die Rede von Dir lange hinausgezogen, weil ich das Bedürfnis dazu hatte. Herr Morgenthaler, den ich ausdrücklich gefragt habe, welchen Eindruck er von Dir habe, meinte u.a., ich hätte eine gute Wahl getroffen. Dies ist ja auch meine Überzeugung. Es freut einen doch, wenn unter guten Freunden Einverständnis besteht, zumal ich ja weiß, daß umgekehrt Du auch mit mir zufrieden bist.

Die dem Brief beigenommenen zwei Bilder von der Geburtstagsfeier hat mir Herr Morgenthaler geschenkt. Ich finde, Du bist darauf sehr gut getroffen, während ich bei der Betrachtung meines Bildes nicht von meinem Aussehen überzeugt bin. Zum Glück weiß ich, daß ich kein fotogener Typ bin, sonst würde ich im Blick auf Dein liebes Gesicht Minderwertigkeitskomplexe bekommen. In diesem Zusammenhang tut es gut, zu wissen, daß Du mich liebst, ohne allzu sehr nach meinem Äußeren zu fragen.

Liebes Ingelein, wenn ich glaube, ich könne die lange Zeit unserer Trennung ohne an der Seele Schaden zu nehmen verkraften, so habe ich mich gründlich getäuscht. Meine Sehnsucht nach Dir ist sehr groß. Ich habe Heimweh nach Dir.



24.2.1992

Meine liebe Inge,

wenn ich nicht schon beim Aufwachen an Dich denken würde, dann würde mich spätestens beim Kaffeetrinken die Milch an Dich erinnern. –

Wie ich Dir bereits schrieb, leide ich sehr darunter, Dich nicht anrufen zu können, bzw. daß Du mich nicht einmal anrufst. Ist dies tatsächlich nicht möglich? Ruf doch bitte einmal kurz an.

Ingelein, nicht daß Du etwa meinst, ich hätte „nicht alle Tassen im Schrank“, weil ich Dir zu diesem Zeitpunkt diesen Brief nach Leimen schreibe, wo ich doch weiß, daß Du bis 22. März abwesend von dort bist. Nein, ich fühle mich noch klar im Kopf. Ich schreibe nur deswegen, weil ich den Drang verspüre, mich mit Dir zu befassen, mit Dir im Brief zu reden.

Heute mittag habe ich mir die Arbeit zugemutet, Bohnensuppe zu kochen, wie ich dies schon öfter unternommen habe. Außer aus den dicken Stangenbohnen aus meinem Garten besteht die Suppe auch aus Schwarzwurzeln, Lauch, Zwiebeln und Knoblauch, diese Zutaten sind ebenfalls in meinem Garten gewachsen. Hinzu kommen Kartoffeln und außerdem Erbsen, Gelbrüben und grüne Böhnchen aus der Dose. Drei Pfund Rindfleisch (Brust), sehr fett, sorgen dafür, daß meine in Gang befindliche Gewichtsabnahme nicht zu schnell vonstatten geht.


25.2.1992

Meine liebe Inge,

noch immer hält das komische Gefühl an, das man in der Brust spürt, wenn man an einen geliebten Menschen denkt, der abwesend ist und den man gerne bei sich hätte. Es muß das sein, was die Leute „Heimweh“ oder „Sehnsucht“ nennen. Rufst Du mich bald an, oder ist es dir tatsächlich unmöglich, mir diesen Liebesdienst zu erweisen?

Heute morgen bin ich bei einer Nachbarsfamilie gewesen, um mich nach dem Gesundheitszustand der Frau (Müller) zu erkundigen. (Sie ist für eine Herzoperation vorgemerkt.) Bei dieser Gelegenheit ließ sie mich wissen, sie habe von ihrer Nachbarin, Frau Lenkard, gehört, Du hättest auf diese einen guten Eindruck hinterlassen. Frau Lenkard ist eine der drei dienstbaren Geister auf der Geburtstagsfeier. Gleichzeitig äußerte Frau Müller den Wunsch, Dich zu sehen, die Neugier meiner Bekannten darüber, was sich der Geiger da wohl angelacht hat, ist groß.

Mein Liebes, ich wünsche Dir im fernen Thailand eine sehr gute Nacht und für morgen viel neues Erleben. In Gedanken bin ich bei Dir auf allen Deinen Wegen.

Hast Du schon einmal das Sprichwort gehört: „Geduld bringt Rosen“? Damit gab eben am Fernsehen eine Mutter einen guten Rat ihrer Tochter, die Probleme mit ihrem Ehemann hat. Ich habe den Satz zuvor zwar noch nie gehört, doch ich finde, er ist gut erdacht. Diese drei Worte lassen sich auch auf unsere Situation anwenden, in der wir uns z.Z. befinden. Wenn wir sie beherzigen, lassen sie uns die Tage unseres bitteren Getrenntseins leichter ertragen. Wenn wir uns in unser Geschick geduldig ergeben,, dann winken am Ende des dunklen Tunnels, den wir durchschreiten müssen, helle, lichte Rosen, symbolisch gesehen (und vielleicht auch tatsächlich!) für die übergroßen Freuden, die mit unserem Wiedersehen verbunden sein werden.



26.2.1992

Mein liebes Ingelein,

hast Du mir vielleicht schon geschrieben? XXX vor einer Woche ließest Du mich allein. Braucht ein Brief von Dir zu mir lange Zeit? Hast Du Schriftzeug dabei?

Diesen Brief werde ich nun absenden nach Leimen – dahin, wo Du gar nicht bist. Wie nett doch die Post ist, daß sie mein Geschreibe verwahrt, bis Du zurückkommst. Sie wartet auf Dich – doch sie dürfte wohl kein Heimweh nach Dir haben, zumindest kein so großes wie ich. Das ist der Nachteil zwischen uns und der Post.

Nun ist Schluß mit dem Schreiben, sonst schimpfst Du mich noch aus, weil der Brief immer länger wird und Du dann zu viel Zeit brauchst, um ihn zu lesen.

Meine liebe Inge,
Ich Dir viel Lieb‘ entgegenbringe.
Kommst aus dem Land der Thais zurück,
Zu Deinem und zu meinem Glück.
Es war auch allerhöchste Zeit,
Drum nun bin ich nicht mehr bereit,
Dich länger zu entbehren;
Mein Schmerz darf sich nicht mehren.
Ich grüße in der Heimat Dich
Und heiß‘ Dich herzlich sehr willkommen.
Wie gut, wie schön wie freu‘ ich mich –
Dem Leid sind wir entronnen.
Nun kann die Liebe ungestört
Sich frank und frei bewegen
Und sich, wie es sich so gehört,
So recht ins Zeug reinlegen.
Die Zeit der Trennung ist vorbei
Und wir sind selig – alle zwei.

Ich wünsche Dir alles Gute und grüße und küsse Dich recht innig, und freue mich riesig auf unser Zusammensein nach der bösen Trennung

Dein Dich liebender
Rudolf

PS. Das zweite Bild habe ich für mich dabehalten.